Fünf (unbequeme) Wahrheiten für Recruiter und Personalberater zur Personalauswahl mit Persönlichkeitstests

Der Einsatz von Persönlichkeitsanalyseverfahren wird auch im Rahmen der Auswahl neuer Mitarbeiter immer beliebter. Für den professionellen Einsatz solcher Verfahren im Auswahlprozess sind allerdings einige grundlegende Dinge zu beachten, die ich Ihnen im Folgenden gerne näherbringen möchte:

1. Machen Sie mit Persönlichkeitstests keine Vorauswahl

Persönlichkeitsanalysen sind nicht für die Vorauswahl von Kandidat*innen geeignet, da sie per se manipulierbar sind. Solche Verfahren sind dafür gedacht, die Kandidat*innen, die Sie interessant finden und näher kennen lernen möchten, auf Grundlage der erhobenen Daten in der Tiefe kennen lernen zu können. Sie sollten daher niemals auf Grundlage der Ergebnisse von Persönlichkeitstests Kandidat*innen aussortieren, sondern die Tests bei den Kandidat*innen einsetzen, die Sie zum Vorstellungsgespräch einladen. Dort verifizieren Sie die Ergebnisse des Tests dann mittels biografischer und situativer Interviewfragen und finden so sehr viel mehr über die Persönlichkeit Ihrer Bewerber*innen heraus, als wenn Sie lediglich anhand des Lebenslaufs fragen würden.

2. Die Validität jedes Persönlichkeitstests hängt vom genutzten Persönlichkeitsmodell ab

Validität bedeutet, dass wirklich das gemessen wird, was der Tests zu messen vorgibt. Im Falle eines Persönlichkeitstests ist das Persönlichkeit. Entscheidend für ein valides Testverfahren ist daher das Modell von Persönlichkeit, auf dem der Test aufbaut. Die Psychologie hat nun sehr klare Antworten auf die Frage, welches Modell Persönlichkeit abbilden kann: das Modell der Big Five! Dieses wird von Profis z.B. für Forschungsprojekte oder psychologische Studien zum Thema Persönlichkeit genutzt. Nutzen Sie daher die Big Five zur Erfassung von Persönlichkeit! Seien Sie sich außerdem dessen bewusst, dass sie das gesamte Wissen der Persönlichkeitspsychologie ignorieren, wenn Sie typenbasierte Modelle nutzen, zu deren fehlender Validität dutzende Studien vorliegen.

3. Nutzen Sie die Daten aus SOLL-Profilen um Ihre Bewerber*innen zu verstehen, statt sie zu bewerten

Viele Recruiter arbeiten gerne mit SOLL-Profilen, mit denen ein Abgleich zwischen dem Profil der Kandidat*innen und den Anforderungen der jeweiligen Position möglich wird. Dies ist grundsätzlich ein sehr sinnvoller Ansatz, aber seien Sie sich auch der Limitationen dieses Ansatzes stets bewusst! Ein Persönlichkeitsprofil basiert auf der subjektiven Selbsteinschätzung der Bewerber*innen und nicht auf einer objektiven Bewertung. Nutzen Sie daher SOLL-IST Abgleiche als gute Möglichkeit, noch tiefer in die Persönlichkeit der Kandidat*innen einzutauchen, indem Sie z.B. auf Abweichungen hinweisen und diese gemeinsam besprechen. Auch hier gilt wie bei Punkt 1, dass Urteile aufgrund der reinen Ergebnisse (z.B. große SOLL-IST-Abweichung) nicht sinnvoll sind.

4. Kompetenzen lassen sich nicht mit Ankreuztests messen

Kompetenzen lassen sich nicht mit Kreuzen messen. Das bedeutet: Kompetenzen repräsentieren die Leistungsfähigkeit einer Person in einem klar umrissenen Kompetenzbereich. Planungskompetenz z.B. die Fähigkeit komplexe Pläne auszuarbeiten. Messen kann man Kompetenzen nur dann, wenn sie gezeigt werden müssen. Planungskompetenz z.B. dann, wenn jemand komplexe Abläufe vorausplanen muss. Für soziale Kompetenzen braucht man zur Messung soziale Situationen wie Gruppensettings. Mit theoretischen Testverfahren misst man hier bestenfalls immer nur die Intelligenz (durchschaue ich die Aufgaben?). Die Lösung: Entweder Sie schließen mittels Korrelationen über die Persönlichkeitsstruktur auf die Kompetenzen (das geht nur mit den Big Five) oder Sie wenden die passenden Verfahren zur Messung der Kompetenz an. Das sind z.B.:

  • für Planungskompetenz sog. ‚Postkorbübungen‘
  • für soziale Kompetenzen Assessment Center inkl. Gruppenübungen und Rollenspielen
  • für kognitive Kompetenzen Leistungstests (Intelligenztests, Konzentrationstests)

5. Aussagekräftige Rückmeldung an den Bewerber

Und schließlich: wenn Ihre Bewerber ihre Persönlichkeit für Sie offenlegen, dann haben diese eine aussagekräftige Rückmeldung in Form eines mehrseitigen, verständlichen und interessant gestalteten Ergebnisreports verdient! Personalauswahl ist auch immer Marketing und für viele Menschen der erste Berührungspunkt mit Ihrem Unternehmen. Machen Sie mit einem spannenden Ergebnisbericht über die eigene Persönlichkeit eine positive Erfahrung daraus, egal ob die Bewerbung erfolgreich ist oder nicht.

 

Viele Grüße

Ihr Ronald Franke

 


Über den Autor:

Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).


 

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