Agile Transformation, New Work und Digitalisierung sind Themen, die in der heutigen Zeit von keinem Unternehmen vernachlässigt werden können. Viele Unternehmen wollen einen Wandel umsetzen, doch nicht jedes Unternehmen geht diese Entwicklungsaufgabe richtig an. Mein Kollege Prof. Dr. Martin Puppatz hat auf Basis gemeinsam mit mir erstellter Forschungsstudien einen Artikel im Harvard Business Manager publiziert, der sich mit genau diesem Thema befasst und erläutert, weshalb die Persönlichkeit der Führungskräfte im Transformationsprozess die wohl wichtigste Rolle spielt. Im Folgenden möchte ich Ihnen die Kernaussagen dieses Artikels darstellen.
Was ist ein agiles Mindset?
Agile Transformation wird häufig als reines Prozessthema aufgefasst. Die Persönlichkeit der Führungskräfte, die diesen Wandel vorantreiben sollen, wird dabei in der Regel vernachlässigt. Führungskräfte mit einem agilen Mindset sind jedoch der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Unternehmenstransformation. Ein agiles Mindset kann vor allem an drei Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne des Big Five Modell (das vorherrschende Modell in der Psychologie zur Beschreibung von Persönlichkeit) festgemacht werden: Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Kooperation.
- Gewissenhaftigkeit: Stark gewissenhafte Menschen legen viel Wert auf Struktur, Disziplin und Kontrolle und haben eine niedrige Fehlertoleranz. Diese Qualitäten wurden in der deutschen Arbeitskultur lange Zeit hoch geschätzt, sind aber in der modernen Arbeitswelt dann eher hinderlich, wenn Agilität das Ziel ist. Denn beim Streben nach agiler Transformation braucht es Flexibilität und schnelle Entscheidungsfindung statt exzessiver Planung. Bei einem solchen Vorgehen ist die Fehlerwahrscheinlichkeit naturgemäß deutlich höher, doch flexible Menschen nehmen diese Fehler weniger schwer. Führungskräfte mit einer solchen Ausprägung könne Fehler dadurch eher tolerieren und sehen diese als Chance für die Weiterentwicklung, statt als einen Rückschlag.
- Offenheit: Für ein agiles Mindset braucht es des Weiteren ein hohes Maß an Offenheit. Wer eine hohe Ausprägung dieser Dimension hat, interessiert sich für neue Entwicklungen, hat einen Hang zu kreativen Lösungen und hinterfragt gefestigte Strukturen gerne kritisch. Eine sehr offene Person scheut keine Veränderung, sondern ist „offen“ für diese und freut sich auf neue Ideen und Herausforderungen. Wenig offene Personen stehen Veränderungen hingegen skeptisch gegenüber und hängen sehr an ihren eingeübten Routinen. Es liegt also auf der Hand, dass eine solche Führungskraft wenig Freude an einer agilen Transformation des Unternehmens hätte und so eher als Bremse statt als Treiber des Wandels fungieren würde.
- Kooperation: Eine der wesentlichen Anforderungen der agilen Arbeitswelt ist die Kooperation. Flache Hierarchien und Teamarbeit ersetzen immer mehr die alten, eingefahrenen Strukturen. Wer hier erfolgreich sein will, sollte also besser Teamplayer als Einzelkämpfer sein. Diese Eigenschlaft schlägt sich in der Dimension Kooperation nieder. Stark kooperativen Führungskräften fällt es deutlich leichter, auf Augenhöhe mit ihren Teammitgliedern zu arbeiten und sich in deren individuellen Bedürfnisse einzufühlen.
Realitätscheck
Wir wissen also was ein agiles Mindset ausmacht, warum es für die agile Transformation notwendig ist und wie die Persönlichkeitsprofile von Führungskräften für eine solche Aufgabe aussehen sollten. Unsere Studien zeigen jedoch, dass viele Führungskräfte keineswegs diesem Persönlichkeitsprofil entsprechen. 36% der Manager*innen weisen stark überdurchschnittliche Werte in punkto Gewissenhaftigkeit auf und mehr als 30% tendieren zur Beständigkeit, welche den Gegenpol der Offenheit darstellt. Zudem haben wir festgestellt, dass der wenig kooperative und kompetitive Typ überdurchschnittlich häufig (40%) unter den untersuchten Führungskräften zu finden war. Die Zahlen zeigen, dass das fehlende agile Mindset ein generelles Problem bei momentanen Führungskräften darstellt. Sehr gewissenhafte, wenig offene und kompetitive Führungskräfte sind also kaum das perfekte Match für agile Transformationsaufgaben. Um dieses Missmatch zu vermeiden, sollte das Thema Persönlichkeit sowohl im Recruiting als auch in der Führungskräfteentwicklung verankert werden.
Tipps fürs Recruiting
Gerade beim Recruiting sollte auf das richtige Mindset geachtet werden. Deswegen rät es sich die Anforderungsprofile an die Bewerber zu erweitern und deren persönliche Voraussetzungen mit professionellen diagnostischen Verfahren zu prüfen.
Tipps für die Führungskräfteentwicklung
Generell ist die Persönlichkeit sehr stabil, was bedeutet, dass man eine sehr gewissenhafte Führungskraft nicht einfach mit etwas Training flexibel macht. Es ist also ratsam, dass Bereiche, die transformiert werden, von Führungskräften mit agilem Mindset übernommen werden. Das heißt jedoch nicht, dass jede Führungskraft ein agiles Mindset braucht und für Transformation eingesetzt werden muss. Jede Persönlichkeit hat ihre Stärken und ist für unterschiedliche Aufgabenbereiche geeignet. So können Führungskräfte mit klassischem Führungsstil am besten in Bereichen eingesetzt werden in denen es mehr auf Effizienz und Sicherheit als auf Innovation ankommt.
Ihr Ronald Franke
Über den Autor:
Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).