Unsere Persönlichkeit hat großen Einfluss darauf, ob wir beruflich scheitern oder nicht. Scheitern kann man auf viele verschiedene Arten, einige haben nichts mit der Persönlichkeit zu tun (höhere Gewalt, Pech, hinterhältige Intrigen). Die meisten Arten zu scheitern, hängen allerdings direkt mit unserer Persönlichkeit zusammen. Daher möchte ich Ihnen heute einige dieser Zusammenhänge vorstellen. Das hier erworbene Wissen kann Ihnen helfen, Warnhinweise bei sich und anderen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Denn Scheitern ist natürlich nicht zwangsläufig, sondern kann fast immer vermieden werden. Um Ihnen einen systematischen und nachvollziehbaren Überblick zu geben, orientiere ich mich bei den folgenden drei Beispielen am psychologischen Modell der Big Five und zeige so die Verbindung zwischen Gründen zu Scheitern und den dafür verantwortlichen Persönlichkeitsmerkmalen auf.
Scheitern unter großem Druck
Selbst für extrem erfolgreiche und belastbare Menschen wie die amerikanische Ausnahmeturnerin Simone Biles wird der Druck von außen (und innen) irgendwann zu groß. Biles musste auf die meisten geplanten Starts bei der gerade beendeten Olympiade verzichten, da sie sich dem Erfolgsdruck nicht mehr gewachsen sah. Wird ein solcher Erfolgsdruck von außen (z.B. von Vorgesetzten und dem Management) erzeugt, spielt vor allem eine Dimension der Persönlichkeit eine Rolle: Die Dimension Sensibilität vs. Emotionale Stabilität. Zeigen Menschen starke Ausprägungen in Richtung Sensibilität, können sie dazu tendieren, sich die Schuld an Misserfolgen zu geben, sich von Rückschlägen entmutigen zu lassen oder inneren Stress aufgrund mangelnden Selbstvertrauens zu erzeugen. Daher ist diese, auch Neurotizismus genannte, Dimension extrem wichtig für Ihren Umgang mit Druck und hohen Erwartungshaltungen. Defizite in diesem Bereich können z.B. durch Coachings zur Stärkung des Selbstwirksamkeitsgefühls und Stresstrainings zum Teil ausgeglichen werden.
Scheitern aufgrund von Selbstüberschätzung
Die Hybris einiger Manager*innen ist ein weiterer häufiger Grund für berufliches Scheitern. Die Krux liegt in diesem Fall darin, dass ein stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein sich durchaus positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken kann. Man traut sich viel zu und versinkt nicht in Selbstzweifeln (wie oben beschrieben). Speist sich das Selbstvertrauen aber aus einem starken Wunsch nach Dominanz, Aufmerksamkeit oder positiver Rückmeldung, kann dies dazu führen, dass jemand zu hohe Risiken eingeht und dabei sich und andere in Gefahr bringt. Die zuvor genannten Persönlichkeitseigenschaften stammen gänzlich aus der Dimension Introversion vs. Extraversion und repräsentieren hohe Extraversionswerte. Dies bedeutet nicht, dass jede stark extravertierte Person zur Selbstüberschätzung neigt, aber solche Werte können ein Indikator sein und sind deshalb z.B. im Auswahlgespräch einen zweiten oder dritten Blick in Form passender Interviewfragen wert.
Scheitern aufgrund mangelnder Organisation und Planung
Das berufliche Scheitern von Manager*innen wird im Englischen auch als ‚Derailment‘ bezeichnet – als Entgleisen also. Diese Bezeichnung scheint vor allem bei einem Scheitern aufgrund mangelnder Organisation und Planung passend. Jemand ist vielleicht auf dem richtigen Weg und kriegt dann einfach nicht mehr die Kurve, da das Projekt zu groß wird und die zuvor genutzten, einfachen Steuerungsmechanismen nicht mehr ausreichen. Die Tendenz, wenig zu planen und stattdessen zu Improvisieren, ist in der Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit vs. Flexibilität mit dem Fokus auf Flexibilität verortet. Gewissenhafte Menschen möchten die Kontrolle über eine Situation oder eine Aufgabe behalten, indem sie viel planen und analysieren. Flexible Menschen verlassen sich eher auf ihre Fähigkeit schnell und flexibel zu reagieren. Das hat durchaus Vorteile in dynamischen und unvorhersehbaren Situationen (z.B. im Vertriebsaußendienst), kann bei der Steuerung größerer Projekte allerdings fatal enden. Daher sollten flexible Führungskräfte oder Projektleiter*innen stets ein gewissenhaftes Backup durch Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen haben, das für Planung und Kontrolle sorgt.
Die Bedeutung eines professionellen Personalmanagements
Die beschriebenen Beispiele zeigen, wie groß der Einfluss der Persönlichkeit auf die Gefahr des Derailments ist. Daher ist es für Unternehmen nicht nur im Recruiting, sondern z.B. auch in der Führungskräfteentwicklung sinnvoll, sich intensiv mit der Persönlichkeit der Mitarbeiter*innen auseinanderzusetzen und gezielt auf Warnhinweise zu achten, natürlich ohne zu stigmatisieren. Die beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale müssen keineswegs zum Scheitern führen, sie können aber der Ausgangspunkt einer Kette von Gründen sein, die mit einem umsichtigen Personalmanagement frühzeitig durchbrochen werden kann. Ein erster Baustein sollte hier die valide Erfassung der Persönlichkeit schon im Auswahlprozess mittels eines Big Five basierten Persönlichkeitstests sein. Darüber hinaus können Coachings und Trainings mit Fokus auf die Derailment-Themen wichtige Bausteine zur Prävention des Scheiterns darstellen.
Ihr Ronald Franke
Über den Autor:
Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).