In diesen volatilen Zeiten großer Veränderungen, widerkehrender Krisen sowie einer allgemein hohen Marktdynamik ist ein Phänomen immer wieder zu beobachten: Die Strategien in den Chefetagen entwerfen gut gemeinte und strategisch sinnvolle Neuausrichtungen ihrer Unternehmen, vergessen dabei aber den Blick auf ihre Mitarbeiterschaft und deren individuelle Besonderheiten.
In der Folge kommt es dann häufig zu einer zu geringen Passung zwischen den von der Unternehmensführung vorgegebenen Zielen und den Persönlichkeitsprofilen der Mitarbeiter, die diese Ziele für das Unternehmen erreichen sollen. Besonders groß ist dieses Problem, wenn Unternehmen ihre Strategien, Ziele oder Prozessabläufe aufgrund akuter Krisen innerhalb kurzer Zeit stark verändern, um so auf neue Rahmenbedingungen zu reagieren. Aus der Perspektive der Unternehmensstrategen ist ein solches Vorgehen absolut sinnvoll oder sogar überlebensnotwendig für den Fortbestand des Unternehmens. Trotzdem scheitern die eigentlich sinnvollen Neuausrichtungen häufig in der Phase der Umsetzung.
Das Problem: Über Jahre wurde eine homogene Mitarbeiterschaft aufgebaut, für die ein Turnaround eine große Herausforderung darstellt
Wie entsteht dieses Dilemma? In den allermeisten Unternehmen werden über Jahre bestimmte Persönlichkeitsmerkmale bei den Mitarbeiter*innen in der Personalauswahl und bei Beförderungen favorisiert, die zu den zentralen Elementen der jeweiligen Unternehmenskultur passen. So entsteht über die Zeit eine relativ homogene Mitarbeiterschaft. Diese kann dann aber nicht plötzlich Verhaltensweisen entwickeln, die ihrer Persönlichkeit nicht entsprechen, nur weil das Unternehmen einen 180 Grad-Schwenk vollzieht und auf einmal völlig andere Charaktere gefragt sind.
Nachfolgend zwei Beispiele, die Ihnen vielleicht nicht ganz fremd erscheinen werden:
- Das traditionelle Maschinenbauunternehmen, dass über Jahre auf Werte wie Verlässlichkeit, Sicherheit, Qualität oder Kontinuität gesetzt hat und in einer Krise jetzt plötzlich rein zahlenorientiert, wettbewerbsfokussiert, hoch innovativ und vertriebsgetrieben agieren soll
- Die Versicherung, die stets vertriebsorientierte, risikobereite und dominante Persönlichkeiten eingestellt hat und dann durch mehrere Skandale einen Turnaround hin zu ausschließlich moralisch einwandfreien Entscheidungen und sozialer Verantwortung aller Mitarbeiter schaffen soll
Verschärft wird diese Problematik häufig durch unzureichende interne Kommunikation der Veränderungen (Stichwort ‚Change Management‘) und allgemein mangelndes Verständnis für professionelle Organisationsentwicklung.
Einige Tipps, wie Sie die beschriebenen Probleme vermeiden können
Was braucht es also, um die Verwerfungen zu verhindern, die durch oben beschriebene Strategiewechsel entstehen können. Nachfolgend ein paar Anregungen dazu:
- Die Unternehmensleitung sollte sich zunächst mittels professioneller Persönlichkeitsdiagnostik einen Überblick über die zentralen Charaktereigenschaften, Motive und Kompetenzen der Mitarbeiterschaft verschaffen. So werden Widersprüche zu aktuellen Zielsetzungen sichtbar und ausbleibende Erfolge strategischer Projekte besser verständlich
- Nachdem die strategischen Ziele definiert wurden, sollte ein gründlicher Prüfungsprozess stattfinden, in dem geklärt wird, welche Ziele wie und in welchem Zeitraum von genau dieser Mitarbeiterschaft realistischerweise umgesetzt werden können
- Aus diesen Informationen wird dann ein konkreter Maßnahmenkatalog inkl. dezidiertem Zeitplan abgeleitet. Dieser enthält z.B. Kommunikationsmaßnahmen, Schulungsmaßnahmen und Kompetenzmodelle für die Personalauswahl (welche neuen Fähigkeiten benötigen wir ab sofort in unserem Unternehmen?)
Über diese Maßnahmen hinaus sollte in der Unternehmensführung und der Strategieabteilung das Verständnis für die in diesem Artikel angesprochenen Zusammenhänge gestärkt werden. Denn ein Turnaround-Prozess, der von Anfang an auf die Mitarbeiterschaft und deren Ressourcen abgestimmt ist, wird stets eine größere Aussicht auf Erfolg haben, als ein solcher der einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht entspringt und an den Mitarbeitern vorbei entworfen wurde.
Viele Grüße
Ihr Ronald Franke
Über den Autor:
Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).