Wirf eine Münze und ich sage dir, wer du bist

Der Themenbereich der Persönlichkeit erfährt in allen Ebenen unseres öffentlichen und privaten Lebens Aufmerksamkeit. Die Persönlichkeit eines Menschen zu verstehen, seine Motive nachvollziehen zu können und Verständnis für sein Fühlen und Handeln zu haben, ist nicht immer einfach – und weckt dadurch Interesse. Über den Verlauf der Zeit wurden immer wieder neue Erklärungen für die Ausprägung der Persönlichkeit gesucht: Ist es die Konstellation der Sterne zur Geburtsstunde, die unser Handeln beeinflusst? Oder kann durch unsere Schädelform der eigene Charakter erläutert werden? In vielen Zeitschriften wurden bereits kleine Persönlichkeitstests zum Selbstausfüllen abgedruckt à la „Welche Disney-Prinzessin bist du?“. Diese Tests versuchen selbstverständlich nicht wirklich die eigene Persönlichkeit zu analysieren, sondern sind klar als Unterhaltung zu erkennen.

Doch Persönlichkeitstests dienen nicht nur der Unterhaltung im privaten Umfeld, sondern finden in jedem größeren Unternehmen in der Personalauswahl und -entwicklung Anwendung und lassen sich in typologische und dimensionale Ansätze unterscheiden. Typologische Tests ordnen die Persönlichkeit in Schubladen mit eindeutigen Labels ein. Entweder ist man extravertiert oder introvertiert – es gibt nichts dazwischen. Wenn sich Ihnen bereits jemand als „roter Typ“ offenbart hat, oder meint als „ENFP“ gar nicht anders zu können, als Sie zu fragen, ob Sie nächstes Wochenende mit auf die Alpaka-Wanderung kommen möchten, dann ist diese Person einem typologischen Persönlichkeitstest „zum Opfer gefallen“. Dimensionale Ansätze hingegen verstehen die Persönlichkeit als ein Kontinuum. Es gibt keine Grenze, ab der eindeutig der eine oder andere Stempel verteilt wird. Stattdessen bewegt sich die Ausprägung der Eigenschaft auf einer Skala, die selbstverständlich auch starke Ausprägungen aufzeigen kann, aber gleichwohl Ausgeglichenheiten und leichte Tendenzen zulässt. Zu den dimensionalen Ansätzen gehört beispielsweise die populärste Theorie der Persönlichkeitspsychologie: Die Theorie der Big Five Persönlichkeitseigenschaften.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 30 Jahre zeigen unumstößlich auf, dass dimensionale Ansätze den typenbasierten in jeder Hinsicht weit überlegen sind. Die menschliche Persönlichkeit lässt sich nicht in starre Schubläden einordnen, sondern ist stets als Kontinuum zu verstehen. Gerlach et al. (2018) meinten dennoch mit modernen statistischen Methoden und Hunderttausenden ausgewerteten Persönlichkeitsprofilen die Persönlichkeit in vier Überkategorien einteilen zu können – ist ein typologischer Ansatz vielleicht doch sinnvoll? Ein klares „Nein!“ entgegnet die Forschergruppe um Freudenstein (2019). Sie analysierten dieselben Daten wie Gerlach et al. und legten ein besonderes Augenmerk darauf, ob jeder Teilnehmer auch eindeutig einem der vier Typen zugeordnet werden kann. Die Ergebnisse sind für Verfechter typologischer Ansätze ernüchternd: Lediglich 42% der Teilnehmer konnten eindeutig einem der vier Typen zugeordnet werden. Selbst ein Münzwurf wäre also ein akkuraterer Prädiktor. „Typisierungen mit vier Buchstaben, Farben oder Symbolen helfen hier vermeintlich, schnell verschiedene Menschen voneinander zu unterscheiden“ sagt Prof. Dr. Mathias Ziegler, einer der Co-Autoren der Studie. Doch typologische Persönlichkeitsschubladen werden der Komplexität der menschlichen Persönlichkeit nicht gerecht und eignen sich aufgrund ihrer Übersimplifizierung nicht dazu, Klarheit in Hinblick auf die Persönlichkeit eines Menschen zu gewinnen. Auch mit modernsten Methoden und riesigen Datensätzen lassen sich keine robusten und sicheren Persönlichkeitstypen vorhersagen. Das Fazit von Prof. Dr. Ziegler lautet daher, dass bei wichtigen Entscheidungen – etwa im Bereich Human Resources – keine Typentests genutzt werden sollten: „Die Typisierung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht korrekt.“

Trotz dieser eindeutigen Ergebnisse täuscht es, wenn davon ausgegangen wird, dass Unternehmen diese Diskrepanz in der Aussagekraft und Genauigkeit der verschiedenen Ansätze erkennen. Gerade der Einfachheit halber nutzen zahlreiche Unternehmen noch immer typologische Tests. Die Ergebnisse von Freudenstein et al., so wie der Konsens der Persönlichkeitspsychologie der letzten 30 Jahre zeigen allerdings auf: Um sich im unternehmerischen Kontext mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit dem Thema der Persönlichkeit nähern zu können, führt kein Weg an einem dimensionalen Persönlichkeitsprofil, wie den Big Five Persönlichkeitseigenschaften, vorbei. Die Interpretation der Big Five lässt sich nicht durch das Zuordnen zu einer Schublade oder das Abstempeln des Kandidaten simplifizieren – stattdessen lösen die Ergebnisse das Versprechen ein, welches man von Persönlichkeitsanalysen erwartet: Wahrhaftige Erkenntnisse über intraindividuelle Persönlichkeitsausprägungen, die wissenschaftlich fundiert, treffsicher und wertvoll für Unternehmen und Mitarbeiter*innen sind. Sollten Unternehmen dennoch an typologischen Tests festhalten wollen, sollten sie dann vielleicht doch eher auf Fragebögen á la „Welche Disney-Prinzessin bist du?“ zurückgreifen. Diese bieten mit 15 Prinzessinnen womöglich ein erschöpfenderes Bild der Persönlichkeit als die gängigen typologischen Verfahren.

 

Freudenstein, J., Strauch, C., Mussel, P. & Ziegler, M. (2019). Four personality types may be neither robust nor exhaustive. Nat Hum Behav 3, 1045–1046. https://doi.org/10.1038/s41562-019-0721-4

Gerlach, M., Farb, B., Revelle, W. & Amaral, L. A. N. (2018). A robust data-driven approach identifies four personality types across four large data sets. Nat. Hum. Behav. https://doi.org/10.1038/s41562-018-0419-z.

 


Über den Autor:

Martin Puppatz ist Professor für Wirtschaftspsychologie und Geschäftsführer der LINC GmbH. Das Unternehmen entwickelt innovative Online-Tools zur Persönlichkeitsanalyse und bietet Trainings und Weiterbildungsmaßnahmen in diesem Bereich an mit dem Schwerpunkt auf dem Thema Personalentwicklung und -auswahl.


 

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