Simone Biles, das 27-jährige Turn-Ausnahmetalent aus den USA, zeigt aktuell bei ihren dritten Olympischen Spielen in Paris was es heißt als Sportlerin Disziplin, Kampfgeist und mentale Stärke zu haben. Gleichzeitig ist sie auch ein Beispiel dafür, dass die immensen Anforderungen des Leistungssports an die Persönlichkeit der Athlet:innen jeden überfordern können. Entscheidend ist dann wieder aufzustehen, sich kompetente Unterstützung zu holen und stärker zurückzukommen.
Schon mit 6 Jahren begann Biles mit dem Turnen und bereits mit 16 Jahren stieg sie zum Star auf, als Sie ihre ersten zwei Goldmedaillen in Antwerpen 2013 bei den Weltmeisterschaften bekam. 2021 sollte sie als „GOAT“ (die Größte aller Zeiten) zu den Olympischen Spielen nach Tokio fahren, doch dort kam alles ganz anders. Sie verlor bei einem Sprung die Orientierung und war froh, dass sie überhaupt noch auf den Beinen gelandet ist. Daraufhin war die Sicherheit weg, die sie sich jahrelang erarbeitet hatte. Passiert einer Sportlerin / einem Sportler ein sogenannter „Twistie“, ist es fast unmöglich sofort weiterzumachen. Die 1,42m-große Turnerin identifizierte mentale Probleme als Ursprung der Orientierungsschwierigkeiten und entschied sich sofort das Mannschafts-Mehrkampffinale abzubrechen. Diese Entscheidung ist so schwerwiegend, da man sie nicht nur für sich, sondern für eine ganze Nation trifft. Trotzdem war es für sie die beste Entscheidung, die sie hätte treffen können, da ein Weitermachen zu lebensbedrohlichen Verletzungen hätte führen können. Dieser Wettkampf stellte allerdings einen Wendepunkt in ihrer Karriere dar. Die extrem hohen Erwartungen, der ständige Druck und die Angst vor dem Versagen hatten die Persönlichkeit der sensiblen Sportlerin so zugesetzt, dass die Verunsicherung blieb und ein Weitermachen zunächst unmöglich war.
Die nächsten zwei Jahre bestritt Biles keine Wettkämpfe mehr und ging nur noch sporadisch in die Halle, um zu trainieren, wenn sie sich danach fühlte. Wenn sie in der Halle war, trainierte sie jedoch nur die Basics, um wieder Sicherheit und das Gefühl für Sprünge zu erhalten. Rückblickend sagt Biles, dass sie eine Vorahnung gehabt hat: „Wahrscheinlich wusste ich, dass ich in eine Depression geraten würde. Aber es gab einen Mechanismus in mir, der das ausblendete“.
Das größte Ziel einer Athletin, die ihr ganzes Leben ihrem Sport widmet, ist es bei den Olympischen Spielen anzutreten und Gold zu holen. Dafür trainierte Biles 32-36 Stunden in der Woche ununterbrochen und hat dabei sich selbst und ihre mentale Gesundheit in den Hintergrund gestellt. Allerdings kam die damals 23-Jährige aus ihrer Depression ohne Hilfe nicht mehr heraus. Sie hat dann offen in den sozialen Medien über ihre Krankheit gesprochen, was – vor allem direkt nach den Olympischen Spielen in Tokio – nicht immer auf positive Rückmeldungen und Verständnis gestoßen ist. Nicht nur, dass sie in eine Depression gefallen ist, sondern auch zu sehen, wie eine ganze Nation enttäuscht wird, weil sie den Wettkampf abgebrochen hat, ist kaum auszuhalten. Doch eine Sportlerin mit einer derartigen Persönlichkeit, Stärke und Disziplin, die sich die Zeit genommen hat, die sie brauchte, um aus ihrer Krankheit wieder neuen Mut und Kraft zu schaffen, ist nun noch stärker und mutiger zurückgekommen und hat bei den Olympischen Spielen in Paris gezeigt, was es bedeutet eine wahre Kämpferin und Athletin zu sein. Simone Biles sagte später dem „New York Magazine“ über sich selbst: „Wenn man schaut, was ich in den letzten sieben Jahren alles durchgemacht habe, hätte ich nie wieder zum Olympia-Team gehören dürfen“. Aber jeder hat eine zweite Chance verdient und sie hat bereits vor den Olympischen Spielen in Paris bei ihren ersten Wettkämpfen nach ihrem Mental Breakdown gezeigt, dass sie diese ohne Zweifel verdient hat. Sie weiß selbst, was sie in den letzten Jahren durchgemacht hat und hat ihr Lebensmotto „Still I Rise“ auf ihre Haut tätowieren lassen, was so viel bedeutet wie Wiederaufstehen und Weitermachen. Jede Sportlerin und jeder Sportler wird in seiner aktiven Laufbahn Höhen und Tiefen erleben, doch wichtig ist, wie man mit diesen umgeht. Und Simone Biles ist definitiv ein Vorbild, das zeigt, dass nach jedem Regenschauer wieder Sonne scheint und ein Regenbogen entstehen kann.
Über die Autorin:
Tanja Asmussen ist studierte Sportwissenschaftlerin und ehemalige Eiskunstläuferin. Sie begann mit 3 Jahren Eiskunstlaufen und hat es in ihrer aktiven Laufbahn bis zu den Weltmeisterschaften im Synchroneiskunstlauf geschafft. Als Leistungssportlerin weiß sie genau, wie sich Niederlagen anfühlen und was es bedeutet Kraft aus ihnen zu ziehen und wieder aufzustehen (im wahrsten Sinne des Wortes).
NEUESTE KOMMENTARE