Narzissmus in der Chefetage – Sind Narzissten heute erfolgreicher als früher?

Illustration - Mann schaut sich im Spiegel an und sieht sich als König

Bringt Narzissmus uns heute wirklich beruflich weiter? Wo verläuft die Grenze zwischen gesundem Selbstbewusstsein und krankhaftem Narzissmus? Und an welchen Merkmalen erkennt man Narzissten? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden nachgehen und Ihnen einige psychologische Erkenntnisse zu diesem spannenden Thema näher bringen.

Selbstverliebte Chef:innen, arrogante Geschäftsführende oder sehr von sich überzeugte Unternehmer:innen kennen wir wahrscheinlich alle aus unserem Arbeitsleben. Und man wird das Gefühl nicht los, dass es immer mehr davon gibt. An diesem Gefühl kann durchaus etwas dran sein, denn es gibt einige kulturelle, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen, die narzisstisches Verhalten heute wahrscheinlicher werden lassen oder sogar belohnen. Zu diesen Entwicklungen zählen u.a.:

  • Individualismus wird als erstrebenswertes Lebenskonzept wesentlich stärker gesellschaftlich gefördert als früher
  • Prominente Vorbilder suggerieren, dass egoistisches Verhalten die Voraussetzung für Erfolg darstellt und daher als legitim anzusehen ist
  • Informationsüberflutung und komplexe Herausforderungen führen zu einer Hinwendung zu einfachen, populistischen Lösungen

 

Zunächst ist festzuhalten, dass der Zeitgeist sich in Richtung Individualismus, Selbstreflexion und Selbstverwirklichung bewegt. Jungen Menschen wird heute beigebracht, sich sehr viel mit sich selbst zu beschäftigen, um das Optimum aus sich zu machen und möglichst ihr ganzes Potential zu entfalten. Diese Entwicklung in Richtung Individualisierung der Gesellschaft ist durch empirische Daten belegt. So findet sich in kulturvergleichenden Studien schon seit Jahrzehnten eine Verschiebung auf der Dimension Kollektivismus-Individualismus in dem Sinne, dass sämtliche untersuchte Landeskulturen sich kontinuierlich in Richtung Individualismus bewegen. Uns fallen diese Veränderungen im Vergleich zu anderen Ländern nicht so stark auf, da sich alle Länder in die gleiche Richtung bewegen und die Unterschiede somit bestehen bleiben. Auch Japaner und Chinesen denken heute also individualistischer als vor 20 Jahren, nur tun dies die schon vorher individualistisch eingestellten Amerikaner und Deutschen auch.

Dies führt dazu, dass Figuren wie Donald Trump überhaupt eine Chance dazu bekommen, für Millionen von Menschen als Rollenmodell zu dienen. Dessen egoistische und narzisstische Verhaltensmuster wären vor einigen Jahrzehnten gesellschaftlich noch nicht toleriert worden, heutzutage legitimieren sie narzisstisches Verhalten in politischen und ökonomischen Kontexten und ebnen so narzisstischen Führungskräften den Weg nach oben. Gerade in einer immer komplexer werdenden Zeit wirkt das selbstbewusste und siegesgewisse Auftreten von Narzissten auf viele Menschen anziehend und ihre oftmals plakativen Lösungen für komplexe Sachverhalte verlockend.

Die Kehrseite der Medaille: Narzissmus führt in der Regel in eine Sackgasse:

Narzissmus ist trotz der beschriebenen Entwicklungen kein nachhaltiges Erfolgsmodell. Ein narzisstisches Selbstbild aufrecht zu erhalten ist extrem anstrengend, denn es basiert auf einer permanenten Selbsttäuschung („ich bin der Beste, ich bin unfehlbar, jeder liebt mich“). Jegliche Einflüsse von außen müssen gefiltert und verzerrt, alle Kritiker mundtot gemacht und ständig Bestätigung eingeholt werden. Dies kostet wahnsinnig viel Energie, macht sozial inkompatibel und letztlich einsam. Aufgrund ihres brennenden Ehrgeizes erreichen Narzissten also häufig zunächst einen gewissen Erfolg, scheitern dann aber fast immer an ihrer unrealistischen Selbstwahrnehmung und ihrer Unfähigkeit belastbare soziale Netzwerke aufzubauen. Ein wenig Kollektivismus hilft nämlich doch weiter auf dem Weg zum Erfolg.

Wenn Sie sich die Frage stellen: „Wie ausgeprägt ist der Narzisst in mir?“, gehen Sie dieser Frage ruhig nach. Vielleicht haben Sie ja schon einmal einen fundierten, möglichst Big Five-basierten Persönlichkeitstest bearbeitet. Es gibt dabei nicht das eine, glasklare Narzissmus-Persönlichkeitsprofil, aber bestimmte Persönlichkeitsmerkmale sind bei sehr vielen Narzissten auffällig ausgeprägt:

  • Dominanz aus dem Bereich Extraversion
  • Hohe Kompetenzwahrnehmung aus dem Bereich Gewissenhaftigkeit
  • Strategische Kommunikation, Selbstfürsorge und geringe Nachgiebigkeit aus dem Bereich Wettbewerbsorientierung
  • Soziale Empfindsamkeit und Impulsivität aus dem Bereich Sensibilität

 

Abschließend bleibt festzuhalten, dass individualistisches Verhalten nicht gleichzusetzen ist mit Narzissmus und das ein gewisser Fokus auf das eigene Vorankommen, sowie ein gesundes Selbstvertrauen sicher hilfreich sind auf dem Weg zum beruflichen Erfolg. Ein voll ausgeprägter  Narzissmus dagegen wird aus psychologischer Perspektive auch in Zukunft kein echtes Erfolgsmodell sein.

 

Ihr Ronald Franke

 


Über den Autor:

Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).


 

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