Wenn wir von Instrumenten zur Analyse und Darstellung von Persönlichkeit sprechen, dann fällt in der Regel der Begriff Persönlichkeitstest. Unter diesem Begriff können sich die meisten Menschen wesentlich mehr vorstellen als unter Begriffen wie Persönlichkeitsinventar, Persönlichkeitsanalyse oder Profiling.
Allerdings handelt es sich bei Persönlichkeitstests in der Regel überhaupt nicht um Tests. Denn in einem Test gibt es per Definition richtige und falsche Antworten. Dies sollte in einem Persönlichkeitsanalyseverfahren allerdings nicht der Fall sein, da es sich bei diesen Verfahren um eine Selbstauskunft handelt, also um eine Selbsteinschätzung der Anwender*innen bezüglich der Ausprägung zentraler Persönlichkeitsmerkmale. Dies unterscheidet Persönlichkeitstests von Leistungstests, die ebenfalls Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. die Intelligenz oder die Konzentrationsfähigkeit einer Person erfassen. In diesen Verfahren gibt es allerdings sehr wohl richtige und falsche Antworten, da die (kognitive) Leistungsfähigkeit in einem bestimmten Bereich erfasst werden soll. Bei Persönlichkeitstests steht dagegen die Beschreibung persönlicher Stile und Präferenzen im Vordergrund, ohne dass dabei eine mögliche Ausformung der Persönlichkeit einer anderen grundsätzlich überlegen und insofern „richtig“ und eine andere als „falsch“ anzusehen ist. Natürlich gibt es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die in bestimmten Situationen eher erfolgsversprechend erscheinen als andere. Ändert sich aber die Situation, kann sich auch die Erfolgsaussicht meiner persönlichen Stile radikal verändern.
Daher ist es irreführend, von einem Test zu sprechen, wenn eigentlich unterschiedliche Stile von Persönlichkeit gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen und das Ziel nicht darin besteht, einen Wert oder ein Urteil zu fällen, sondern für diese Unterschiedlichkeit zu sensibilisieren. Alternative Bezeichnungen für Persönlichkeitstests wären neben eher klinisch anmutenden Begriffen wie Inventar, Instrument oder Analyse auch die Bezeichnungen Persönlichkeitstool oder Persönlichkeitsreport. Allerdings steht es kaum zu vermuten, dass sich diese Begriffe in naher Zukunft im Sprachgebrauch durchsetzen werden, weshalb auch ich den Begriff Persönlichkeitstest weiterhin verwende. Wichtig ist dabei nur, sich die in diesem Beitrag dargestellte Thematik bei der Verwendung des Begriffs vor Augen zu führen, um ein besser-schlechter-Denken in der Arbeit mit Persönlichkeit möglichst zu vermeiden.
Ihr
Ronald Franke
Über den Autor:
Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).