Warum Persönlichkeit in der Führung nicht „nice to have“ sondern „must have“ ist
In Zeiten knapper Fachkräfte und dynamischer Märkte können Unternehmen sich breit gestreute Entwicklungsprogramme ohne Wirkungskontrolle nicht mehr leisten. Forschung zeigt seit Jahren: Facetten der Big Five – insbesondere Gewissenhaftigkeit, Extraversion und emotionale Stabilität – hängen robust mit Leistungs- und Führungskriterien zusammen. Wer Führung und Entwicklung daran ausrichtet, steigert die Passgenauigkeit von Maßnahmen und die Wahrscheinlichkeit, dass Verhalten sich im Arbeitskontext tatsächlich ändert.
Was eine Persönlichkeitsanalyse leisten kann – und was nicht
Persönlichkeitsdiagnostik ist kein Schubladendenken, sondern arbeitet entlang kontinuierlicher Dimensionen (z.B. der Big Five). Gute Analysen liefern differenzierte Profile inklusive Facetten (z. B. Leistungsorientierung als Teil von Gewissenhaftigkeit) und damit Anknüpfungspunkte für präzise Entwicklungsziele. Meta-Analysen belegen: Persönlichkeit erklärt Varianz in Job- und Trainingsleistungen – und dies über Branchen und Rollen hinweg.
Von Diagnose zu Wirkung: Entwicklung entlang der Big Five planen
Die Kunst liegt in der Übersetzung von Profilen in wirksame Interventionen. Trainingsmotivation, Lerntransfer und Skillaufbau steigen, wenn individuelle Voraussetzungen aufgrund des Persönlichkeitsprofils berücksichtigt werden. Entwicklungsdesigns sollten daher Auswahl, Intensität und Transferbegleitung (z. B. Micro-Commitments, Peer-Reviews, 90-Tage-Pläne) auf das Persönlichkeitsprofil abstimmen.
Situation zählt: Kontext als Verstärker der Persönlichkeit
Persönlichkeitsorientierte Führung funktioniert am besten, wenn Rollen, Prozesse und Führungsverhalten „Trait Activation“ ermöglichen – also die Mitarbeitenden ihre Persönlichkeitsmerkmale zeigen können. Forschung zeigt: In schwächeren, weniger reglementierten Situationen sagen die Big Five Jobleistung stärker vorher; in stark reglementierten Umgebungen flacht der Zusammenhang ab. Für HR bedeutet das: Aufgabenarchitektur, Autonomiegrade und Führungsstil bewusst so gestalten, dass Stärken sichtbar werden.
Praxisnah: Drei typische Entwicklungshebel für Führung
1) Gewissenhaftigkeit gezielt nutzen. Mitarbeitende mit hoher Gewissenhaftigkeit profitieren überdurchschnittlich von anspruchsvollem Ziel- und Feedbackdesign (z.B. Qualitätsmetriken) und Verantwortung im Prozessmanagement. Gleichzeitig helfen Trainingselemente zu Priorisierung und „Stop-Doing-Listen“ bei Überlastungstendenzen. Die Relevanz von Gewissenhaftigkeit für Leistung ist in zahlreichen Analysen belegt.
2) Extraversion dosiert aktivieren. Für Führung, Vertrieb oder bereichsübergreifende Steuerung unterstützen Coaching-Interventionen zu Wirkung, Gesprächsführung und Stakeholder-Management. Introvertiertere Profile entwickeln Wirkung über Struktur, Vorbereitung und asynchrone Kommunikation – ohne den Anspruch, „lauter“ zu werden. Extraversion zeigt im Mittel positive Zusammenhänge mit Führungseffektivität.
3) Emotionale Stabilität stärken. Resilienz- und Stress-Interventionen erhöhen die Handlungsfähigkeit unter Druck. Hier lohnt messbare Verhaltensankersetzung (z. B. Entscheidungs-Checklisten). Studien zeigen, dass Eigenschaften, die mit emotionaler Stabilität zusammenhängen, breit mit Arbeitskriterien assoziiert sind.
Die gute Nachricht: Verhaltenstendenzen sind entwickelbar
Entwicklung ist nicht nur „Fit durch Umfeld“. Verhaltensmuster werden auf Basis der zentralen Persönlichkeitstraits herausgebildet und sind mittels PE-Maßnahmen direkt veränderbar. Für die Führungspraxis heißt das: Coaching, Trainings und arbeitsplatznahe Interventionen können nicht nur Kompetenzen bzw. Skills adressieren, sondern auch individuelle Verhaltensmuster wie Führungs- oder Kommunikationsstile beeinflussen.
Implementierung in HR und Führung: Qualitätskriterien und Ethik
Wer Persönlichkeitsanalysen in Entwicklungsarchitekturen integriert, sollte auf wissenschaftliche Fundierung (z. B. Big-Five-Modell), Reliabilität/Validität, Transparenz der Rückmeldungen und klare Entwicklungsableitungen achten. Ebenso wichtig: Freiwilligkeit, datenschutzkonforme Prozesse, die Trennung von Auswahl- und Entwicklungszwecken und eine sorgfältige Qualifizierung der Anwenderinnen und Anwender.
Fazit
Persönlichkeitsorientierte Führung macht Entwicklung messbar präziser: Sie erhöht die Passung von Maßnahmen, beschleunigt Lernkurven und hebt Leistungsreserven – vorausgesetzt, Diagnostik, Kontextgestaltung und Interventionen greifen ineinander. Für Coaches, HR und Recruiting heißt das: Persönlichkeit nicht als Etikett, sondern als Arbeitsgrundlage verstehen – entlang der Big Five, Motive und Kompetenzen evidenzbasiert und mit klarer Transferlogik.
Ihr
Dr. Ronald Franke
