Business meets Psychology – Wie das psychologische Modell der BIG FIVE beim Führen hilft

Die Leistungsfähigkeit der modernen Wirtschaftspsychologie am Beispiel Führungskräfteentwicklung

Denken sie an Psychologie, fällt vielen Menschen noch immer zunächst Freud und seine Couch ein oder zumindest die klinische Psychologie, die verschiedene Therapieformen ersannt hat, um psychische Erkrankungen zu lindern. Tatsächlich nehmen die meisten Menschen die Begriffe „Psychologe“ und „Therapeut“ praktisch als Synonyme wahr. Das ist allerdings ein Irrglaube: Das heutige Psychologiestudium vermittelt zwar Wissen zu psychischen Erkrankungen und Therapieformen, qualifiziert aber keineswegs zum Tragen des Titels „Psychotherapeut“. Dafür ist eine mehrjährige Zusatzausbildung nach dem Studium notwendig.

Gleichzeitig verfügt die moderne Psychologie auf einem ganz anderen Gebiet jedoch über ein extrem ausgefeiltes Instrumentarium, von dem die meisten Menschen leider viel zu wenig Notiz nehmen: der Wirtschaftspsychologie.

Ziel der Wirtschaftspsychologie ist es, Theorien, Modelle und Instrumente der Psychologie auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen anzuwenden und so zu einer Problemlösung beizutragen. Die Modelle und Instrumente, die dabei zum Einsatz kommen, sind aufgrund der psychologischen Methodenfokussierung extrem gut fundiert und leistungsfähig – wenn sie kompetent in die berufliche Praxis übertragen werden.

Ich möchte Ihnen daher aufzeigen, was möglich ist, wenn die besten zur Verfügung stehenden psychologischen Modelle und Instrumente professionell und kompetent in der betrieblichen Praxis eingesetzt werden. Leider ist dies noch viel zu selten der Fall. Wesentlich häufiger ist die Situation, dass pseudo- oder völlig unwissenschaftliche Ansätze einen viel zu großen Raum einnehmen, wo professionelles Wissen und Kompetenz gefragt wären. Vielleicht können wir gemeinsam einen Schritt dahin gehen, den Herausforderungen der Arbeitswelt mit wirklich leistungsfähigen Antworten zu begegnen. Im Folgenden möchte ich Ihnen am Beispiel der Führungskräfteentwicklung aufzeigen, wie dies aussehen könnte.

Die komplexen Herausforderungen von Führung

Die kompetente Führung von Mitarbeiter*innen ist eine der größten Herausforderungen, der Sie im Laufe Ihres Berufslebens gegenüberstehen können. Führung stellt einen extrem komplexen sozialen Interaktionsprozess dar und verlangt der Führungskraft Kompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen ab: Eine Führungskraft muss unter anderem motivieren, delegieren, kontrollieren, Stabilität vermitteln, Veränderungen anstoßen, individuelle Entwicklung fördern und Entscheidungen durchsetzen. All diese vielfältigen Aufgabenfelder und noch einige mehr muss eine Führungskraft bewältigen und dabei die unterschiedlichsten Persönlichkeiten in ihrem Team mitnehmen.

Nicht umsonst existiert eine Bandbreite an Ratgeberliteratur zum Thema Führung, die weiterhin beständig anwächst. Der größte Teil dieser Literatur kann getrost unter den oben erwähnten Kategorien als pseudowissenschaftlich und/oder völlig unfundiert subsumiert werden. Lohnender ist hier ein Blick in die Erkenntnisse der modernen Psychologie.

Der Blick der Psychologie auf Führung

Persönlichkeitspsychologische Studien machen zunächst deutlich, dass es wenig zielführend erscheint, allen Mitarbeiter*innen ein und denselben Führungsstil oder Managementansatz als Pauschallösung überzustülpen. So wie nicht jeder Mensch die gleichen Gerichte oder die gleichen Getränke mag, möchte natürlich auch nicht jeder auf die gleiche Art geführt werden. Vielmehr sollten z.B. die Ansprache, die Motivationsstrategien oder der Umgang mit Fehlern auf die individuelle Persönlichkeit der Geführten abgestimmt sein. Gleichzeitig sollte sich die Führungskraft ihrer eigenen Persönlichkeit bewusst sein und wissen, in welchen Bereichen diese den Anforderungen an Führung grundsätzlich entgegenkommt und wo dies nicht der Fall ist.

Wie kann dies gelingen? Auch hier hilft die Psychologie. Denn die moderne Persönlichkeitspsychologie ist eine empirische Wissenschaft. Das bedeutet, sie verfügt über sehr leistungsfähige Modelle sowie erprobte Verfahren zur Erfassung und Darstellung von Persönlichkeit. Zu allererst ist hier das Big Five Modell zu nennen, welches das Standardmodell zur Darstellung von Persönlichkeit in der Psychologie ist. Kern des Modells sind die fünf grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen, denen alle anderen Persönlichkeitsmerkmale zugeordnet werden können. So wird es möglich, die Komplexität von Persönlichkeit auf wenige Dimensionen zu reduzieren und ein empirisch fundiertes Persönlichkeitsprofil eines Menschen zu erstellen.

Das konkrete Vorgehen am Beispiel Führung

Welchen Mehrwert psychologische Modelle und Methoden für die betriebliche Praxis liefern können, lässt sich am Beispiel Führungskräfteentwicklung aufzeigen: Zunächst wird mit einem geeigneten Persönlichkeitstest auf Basis der Big Five ein realistisches Bild der Persönlichkeit einer Führungskraft erzeugt. Dabei sollten verschiedene Teile der Persönlichkeit, wie Charaktereigenschaften, Motive und Kompetenzen, betrachtet werden. Beziehen wir die Ergebnisse nun in einem Entwicklungsgespräch auf das Thema Führung, wird es möglich sehr tief in den individuellen Führungsstil der Anwender*innen einzutauchen. Unterschiedlichste Fragestellungen können dabei bearbeitet und gelöst werden. Hier ein Auszug:

  • Welcher Führungsstil passt zu meiner Persönlichkeit?
  • Wo entspricht mein Persönlichkeitsprofil bereits einer (fiktiven) idealen Führungskraft und wo weicht es noch ab?
  • Mit welchen Persönlichkeitsstilen komme ich im Rahmen von Führungsaufgaben sehr gut zurecht und mit welchen weniger?
  • Wo kann ich Entwicklungsfelder identifizieren, an denen ich arbeiten möchte?

Solche und weitere Fragestellungen lassen sich mittels professionell durchgeführter Entwicklungsmaßnahmen (z.B. Coachings oder Trainings) vorantreiben. Im Rahmen dieser Maßnahmen wird dann z.B. anhand der Motive deutlich, wie ausgeprägt eigentlich der Wunsch zu führen ist oder ob andere Motive im Vordergrund stehen. Über die Charaktereigenschaften in Form der Big Five und deren 30 zugeordneten Unterkategorien wird es möglich, z.B. genau zu identifizieren, dass eine Führungskraft im Bereich Extraversion zwar sehr offen auf andere zugeht und auch gerne Zeit mit ihren Mitarbeitern verbringt, dass aber gleichzeitig der Bereich Dominanz weniger stark ausgeprägt ist, was z.B. beim Durchsetzen harter Entscheidungen hinderlich sein könnte. Schließlich kann über einen Blick auf die Kompetenzen deutlich werden, dass z.B. in den Bereichen Präsentieren und Motivieren eventuell noch Defizite bestehen.

Durch die hier beschriebene Kombination aus fundierter Datenbasis und professioneller Entwicklungsmaßnahme können nachhaltig wirkende Fortschritte erzielt werden. Daher sollten fundierte Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnostik und nachgelagerte Entwicklungsmaßnahmen Teil jeder modernen betrieblichen Führungskräfteentwicklung sein. Werden solche Entwicklungsmaßnahmen von einschlägig ausgebildete Coaches und Personalentwickler*innen umgesetzt, die über ein fundiertes Verständnis zu den Themen Persönlichkeit und Führung verfügen, führt das in aller Regel zu einer größeren Sicherheit bei der Führungskraft und einer größeren Zufriedenheit bei den Geführten – also letztendlich zu einem größeren Führungserfolg. Auf diese Weise tragen dann psychologische Modelle und Instrumente – wie eingangs beschrieben – zur Lösung einer betriebswirtschaftlichen Aufgabenstellung bei – in diesem Fall der Professionalisierung der Personalarbeit im Bereich Führungskräfteentwicklung.

Kennen Sie das Modell? Führen Sie Ihre Mitarbeiter Persönlichkeitsorientiert? Welche Erfahrungen haben Sie dazu bereits gemacht? Schreiben Sie dies doch gerne in die Kommentare und ich bin gespannt mehr über Ihre Erfahrung zum Thema Wirtschaftspsychologie in der Praxis zu lernen.

Ihr Ronald Franke

 


Über den Autor:

Dr. Ronald Franke ist Geschäftsführer der LINC GmbH, promovierter Wirtschaftspsychologe und zertifizierter systemischer Coach. Als Berater und Trainer war er für Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Pharma Maschinenbau und Handel tätig. Sein Wissen gibt er außerdem seit über 10 Jahren als Dozent an Hochschulen weiter (u. a. Leuphana Universität Lüneburg, FOM Hamburg).


 

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